Tausend Pfeifen
Die Montage der neuen Hauptorgel in der Marienkirche Gelnhausen
Tausend Pfeifen
Die Montage der neuen Hauptorgel in der Marienkirche Gelnhausen
Wie kam es zum Orgelneubau?
Die erste bekannte Orgel in der Marienkirche Gelnhausen war eine Renaissanceorgel die sich leider nicht mehr genau datieren lässt. Diese wurde in den Jahren 1877–1879 durch einen Neubau des Orgelbauers Ratzmann im Stil des Historismus ersetzt. Das Instrument in Form einer Schwalbennestorgel war mit 33 Registern der Zeit entsprechend romantisch disponiert. 1966/67 wurde in dieses Gehäuse von Bernhard Schmidt ein neobarockes Orgelwerk mit 38 Registern eingebaut.
Nachdem die jetzige Orgel fast ein halbes Jahrhundert lang treue Dienste geleistet hat, haben sich die aufgetretenen Mängel als so gravierend erwiesen, dass sich die ursprünglich geplante Renovierung als wirtschaftlich nicht sinnvoll erwiesen hat. So hat der Kirchenvorstand beschlossen, die durch eine Expertenrunde erarbeiteten Pläne eines Orgelneubaus umzusetzen. Für das Projekt konnte der bekannte Orgelbauer Claudius Winterhalter gewonnen werden.
Die größte Veränderung beim Neubau der Orgel ist die Aufteilung als Chor- und Haupt-Orgel. Dabei wird das Ratzmann-Gehäuse von 1878/79 beibehalten, restauriert und im Mittelteil dem historistischen Originalzustand wieder angenähert. Die neue Hauptorgel wird mit der in einem vorausgehenden Bauabschnitt errichteten Chororgel und deren mobilem Generalspieltisch zu einer Gesamtanlage verbunden.
Mein Foto-Tagebuch
Ab Ende April 2017 begleitete ich die Montage der neuen Hauptorgel in der Marienkirche Gelnhausen mit meiner Kamera. Im folgenden werden die Arbeiten und der Baufortschritt in einem Foto-Tagebuch nach Kalenderwochen dokumentiert. Dabei möchte ich besonders auch die Menschen zeigen, die das außergewöhnliche Handwerk des Orgelbaus mit Kompetenz und Leidenschaft ausüben.
Tagebuch 2017
KW17 – Das Gerüst steht, Deckendurchbrüche werden vorbereitet, die Deckenverschalung entfernt
KW19 – Deckendurchbrüche werden verkleidet, das Ratzmann-Gehäuse wird umgebaut und stabilisiert
KW21 – Aufbau Kerngehäuse der Orgel, die Windlade des Schwellwerks und die zugehörigen Pfeifenstöcke werden installiert
KW22 – Ausbau des Gehäuses, Installation der Traktur-Relais, Wellenbrett und Wellenbrettstütze, Setzen der ersten Holzpfeifen
KW23 – Malerarbeiten, Installation der Windversorgung, Setzen weiterer Holzpfeifen, Arbeiten an Traktur und Wellenbrett
KW24 – Arbeiten an der Traktur, Malerarbeiten, Installation der Windversorgung, Pfeifenhalterung für den Prospekt
KW25 – Malerarbeiten, Installation der Holzpfeifen, Arbeiten an Schwellwerk und Traktur, Auspacken und ordnen der Metallpfeifen
KW28 – Setzten weiterer Pfeifen, Arbeiten an Wellenbrett und Traktur, Justage der Traktur/Spieltisch
KW30 – Arbeiten/Inbetriebnahme an beiden Spieltischen, Arbeiten an der Elektronik/Steuerung
KW34 – Letzte Arbeiten an der Traktur und dem Wellenbrett, Arbeiten am Spieltisch der Hauptorgel, Arbeiten an den Pfeifen
KW35 – Letzte Arbeiten am Spieltisch der Hauptorgel, Start der Intonation
KW36 – Intonation und Installation weiterer Pfeifen
KW39 – Intonation (u.a. Prospektpfeifen) und Installation (u.a Lingual-/Zungenpfeifen)
KW45 – Intonation der Lingual-/Zungenpfeifen
KW46 – Die Temperatur in der Kirche mittlerweile zu niedrig. Daher werden die Intonations-Arbeiten bis zum Frühjahr eingestellt
Tagebuch 2018
Die Kernbestandteile einer Orgel
Eine Orgel besteht aus einer Reihe verschiedener Komponenten. Die wichtigsten und zentralen Komponenten der Hauptorgel in der Marienkirche Gelnhausen werden hier kurz vorgestellt. Deren bauliche Entwicklung wird jeweils in einer separaten Foto-Galerie dokumentiert.
Elektrik/Elektronik – Auch in den Orgelbau hat die Elektromechanik und Mikroprozessorsteuerung Einzug gehalten. Viele moderne Orgeln verwenden heute eine Kombination aus mechanischer Spieltraktur und elektrischer Registertraktur. Die Spieltische als Steuerzentrale der Orgel sind mittlerweile mit Mikroprozessorsteuerungen ausgestattet.
Gehäuse – Das Orgelgehäuse umschließt und trägt die zentralen Komponenten der Orgel. Es besteht aus einer selbsttragenden Konstruktion aus massiv gefertigten Rahmen und Füllungen. Dabei sammelt und verstärkt das Orgelgehäuse den Klang der einzelnen Register und bewirkt eine gerichtete Klangabstrahlung.
Pfeifen – Die Töne einer Orgel werden durch die Orgelpfeifen erzeugt. Dabei kann jede Pfeife nur einen bestimmten Ton einer bestimmten Klangfarbe und Lautstärke abgeben. Daher wird für das Klangerlebnis einer Orgel eine Vielzahl unterschiedlicher Pfeifen benötigt. Die verschiedenen Pfeifen unterscheiden sich im Material (Holz oder Metall), in ihrer Größe und Bauart. Orgelpfeifen werden in zwei Grundtypen eingeteilt. Zum einen sind das Lapidalpfeifen (Lippenpfeifen), bei denen der Ton durch einen brechenden Luftstrom erzeugt wird. Die zweite Bauart wird als Lingualpfeifen (Zungenpfeifen) bezeichnet, bei ihnen wird der Ton durch eine schwingende Metallzunge erzeugt.
Pfeifenstock – Der Pfeifenstock wird auf die Windlade aufgesetzt und ist der Halter der Pfeifen. Dabei sind die Pfeifen in einer Zeile zu einem Register angeordnet. Pfeifen einer Klangfarbe stehen nach Tonhöhe geordnet nebeneinander, Pfeifen gleichen Tons hintereinander.
Prospekt – Die Schauseite der Orgel wird auch Orgelprospekt genannt. Die hier sichtbaren Pfeifen bilden in der Regel nur einen Bruchteil des vollständigen Pfeifenbestandes.
Spieltisch – Der Ort an dem die Orgelmusik gespielt wird ist der Spieltisch. Hier erfolgt die zentrale Steuerung des Instruments. Der Organist bedient dazu die Klaviatur (Manuale und Pedal), die Registerzüge, den Schwelltritt und ggf. Bedienelemente weiterer Spielhilfen.
Schwellwerk – Mit Hilfe des Schwellwerks lässt sich die Dynamik/Lautstärke der in ihm platzierten Pfeifen verändern. Das Schwellwerk besteht aus einem abgeschlossenen Holzkasten (Schwellkasten) der sich an der Vorderseite durch Jalousien öffnen und schließen lässt.
Traktur – Die Traktur bezeichnet das Übertragungssystem von den Betätigungselementen des Spieltischs (Tasten, Registerzüge/-schalter) am einen Ende zum Ventilsystem in der Windlade am anderen Ende. Die Spieltraktur überträgt die Tastenanschläge am Spieltisch auf die Tonventile der Windladen. Die Registertraktur schaltet die durch die Registerzüge/-schalter angewählten Registerventile in den Windladen.
Wellenbrett – Bei der mechanischen Traktur liegt ein trapezförmiges Brett unterhalb der Windlade. Auf diesem Brett sind Wellen und Winkel angebracht, die die vertikalen Zugkräfte der Abstrakten in horizontaler Richtung auf die Spielventile der Windlade übertragen.
Windlade – Die Windlade verteilt den vom Winderzeuger (Gebläse oder Balg) kommenden Wind über die den einzelnen Tasten zugeordnete Tonventile auf die jeweiligen Pfeifen. Die Orgelpfeifen sind meist direkt auf den sogenannten Pfeifenstock an der Oberseite der Windlade aufgesetzt und in regelmäßigem Raster angeordnet. Wird am Spieltisch eine Taste niedergedrückt werden die über die Traktur angesteuerten Tonventile geöffnet und der Wind kann durch die entsprechenden Pfeifen strömen.
Windwerk – Das Windwerk ist zuständig für die gleichmäßige Erzeugung, Regulierung, Verteilung und Modellierung von Druckluft (Wind) innerhalb der Orgel. Das Windwerk besteht in der Regel aus einem Schleudergebläse (Erzeugung), einem Magazinbalg (Regulierung) und Windkanälen (Verteilung). Die Windkanäle leiten den Wind zu den Windladen, auf denen die Orgelpfeifen stehen.
Weitere Gewerke
Zusätzlich zu den zentralen Komponenten der Orgel möchte ich noch auf einige Gewerke eingehen, die bei der Montage der Orgel von Bedeutung sind.
Gerüstbau – Das Baugerüst umhüllt über einen Großteil der Bauphase die Orgel. Es ermöglicht den Zugang zu den verschiedenen Bereichen der Orgel und dient als Arbeitsplattform für unterschiedliche Aufgaben.
Malerarbeiten – Es ist nicht nur der Klang der den Eindruck einer Orgel bestimmt. Wichtig ist auch die Ansicht der Orgel. Diese wird bestimmt durch Aufbau und Struktur des Prospekts aber auch durch die Farbgebung des gesamten Gehäuses.
Intonation – Bei der Intonation erfolgt die Gestaltung des letztendlichen Klangs der Orgelpfeifen. Dabei werden Klangfarbe und Lautstärke der einzelnen Pfeifen angepasst um einen stabilen Ton zu erzeugen und alle Pfeifen eines Registers in Klangcharakter und Lautstärke anzugleichen. Der Intonateur benutzt hierzu verschiedene Spezialwerkzeuge und bezieht bei der Vorgehensweise den Stil der Orgel und die Raumakustik mit ein.
Die neuen Orgeln
Am 20.05.2018 fand das Orgelfest zur Einweihung der neuen Winterhalter-Orgel statt. Seit dem kann das außergewöhnliche Instrument bei diversen Konzerten in der Marienkirche Gelnhausen bestaunt werden. Die Orgel besteht aus einer Haupt- und einer Chor-Orgel die zusammen von einem Generalspieltisch gespielt werden können.
Die Chororgel
Im nördlichen Querschiff steht seit 2015 die von Claudius Winterhalter neu gebaute Chororgel. Diese besitzt einen modern gestalteten Prospekt und kann von einem mobilen Generalspieltisch gespielt werden.
Die Hauptorgel
Die im Jahr 2018 eingeweihte Haupt-Orgel thornt an der westlichen Stirnseite des Mittelschiffs.